Hybride Modellierung
Planung, Untersuchung und Optimierung der Fischverträglichkeit wasserbaulicher Anlagen

Die europäische Wasserrahmenrichtliche und das deutsche Wasserhaushaltsgesetz fordern die Durchwanderbarkeit der Fließgewässer. Insbesondere an Wanderhindernissen wie Wehranlagen, Wasserkraftwerken oder anderen Querbauwerken sowie an Anlagen zur Wasserausleitung oder -entnahme ergibt sich daraus die Notwendigkeit der Nachrüstung von Fischaufstiegs-, -schutz- und -abstiegsanlagen. Der derzeitige Stand der Technik gibt dazu nur wenige allgemein anwendbare Konstruktions-, Bemessungs- oder Gestaltungsangaben vor und eine Schwierigkeit für die Praxis besteht in der Anpassung der Vorgaben an die standortspezifischen Randbedingungen.

Für die Planung und Gestaltung stehen diverse Methoden zur Verfügung: Ausgehend von den Pla-nungsempfehlungen in Regelwerken können mehrdimensionale Strömungsmodelle, physikalische Modelle oder ethohydraulische Versuche den Detailierungsgrad einer Planung deutlich erhöhen und damit die Qualitätssicherung des Vorhabens relativ kostengünstig verbessern. Für Bestandsanlagen bieten sich Feldmesskampagnen kombiniert mit Strömungssimulationsmodellen oder ethohydraulischen Modellierungen an, um kostenintensive Tierbeobachtungen (Fischbeobachtungen mittels Sonar oder Telemetrie, Zählungen mittels Reusen) auf ein Minimum beschränken zu können.

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Abbildung 1: Hybride Modellierungstechniken kombiniert mit Feld- und Laborversuchen ermöglichten die Erarbeitung konkreter Bemessungs- und Gestaltungsvorgaben für auffindbare und passierbare Fischabstiegsanlagen.
Abbildung 1: Hybride Modellierungstechniken kombiniert mit Feld- und Laborversuchen ermöglichten die Erarbeitung konkreter Bemessungs- und Gestaltungsvorgaben für auffindbare und passierbare Fischabstiegsanlagen.

Angesichts der bis dato geringen Erfahrungen und Erkenntnisse zu wirksamen Fischschutz- und Fischabstiegsanlagen enthalten die wenigen verfügbaren Publikationen, die sich mit Aspekten der Gestaltung, Dimensionierung, Beaufschlagung und dem Betrieb von Abwanderkorridoren beschäftigen, nur vage Empfehlungen. Vor diesem Hintergrund war es das Ziel einer Forschungsarbeit in transdisziplinärer Zusammenarbeit von Biologen und Wasserbauingenieuren mittels ethohydraulischer Untersuchungen und hydrodynamisch-numerische Modellierungen das Verhalten abwandernder Fische an Wasserkraftanlagen zu untersuchen. Der Fokus lag dabei auf der Annäherung von Fischen an Wanderhindernisse unterschiedlichen Typs sowie die Auffindbarkeit und Akzeptanz von Abwanderkorridoren in Abhängigkeit von verschiedenen hydraulischen und geometrischen Bedingungen. Neben der Verbesserung des Verständnisses der Bedürfnisse abwandernder Fische wurden praktisch umsetzbare Regeln und planungssichere Grenzwerte für die Konstruktion auffindbarer und sicher passierbarer Abwanderkorridore erarbeitet.

Das Forschungsprojekt wurde durch das Bundesamt für Naturschutz koordiniert und von der Technischen Universität Darmstadt in Kooperation mit dem Institut für angewandte Ökologie bearbeitet.

LEHMANN, B., B. ADAM, O. ENGLER & K. SCHNEIDER (2016): Verbesserung von Fischschutzeinrich-tungen vor Wasserkraftanlagen. – BfN-Schriftenreihe Naturschutz und biologische Vielfalt.

LEHMANN, B., B. ADAM, D. APPELHOFF, R. BINDERNAGEL, V. HECHT, K. IWANOV, O. ENGLER, K. SCHNEIDER (2015): Ethohydraulische Untersuchungen zur Bypassgestaltung. Tagungsband der

IWASA-Jahrestagung 2015 der RWTH Aachen

LEHMANN, B., B. ADAM (2016): Empfehlungen zur Bypassgestaltung für den Fischabstieg an Wasserkraftanlagen. Tagungsband der Jahrestagung der Fischereisachverständigen 2016

LEHMANN, B., B. ADAM (2016): Untersuchungen und Empfehlungen zur Dimensionierung und An-ordnung von Bypassanlagen bei Wasserkraftanlagen. Tagungsband der Jahrestagung zum Thema alpine Wasserkraft der TU München, Universität Graz und ETH Zürich 2016

Referenz 2

Abbildung 2: Derzeit gängige Methoden zur Planung von Sonderbauwerken
Abbildung 2: Derzeit gängige Methoden zur Planung von Sonderbauwerken

Die bisherigen Erfahrungen zur Entwicklung von Sonderbauwerken zeigen auf, dass zum einen zwar ein recht breites Spektrum unterschiedlichster planungsstützender Methoden bestehen (Abbildung 2), zum anderen jedoch deren zielgerichtete Einbindung und Anwendung in den Planungsprozess oftmals recht komplex ist. Die Ursache dafür lässt sich damit erklären, dass zum Schließen bestehender Wissenslücken und/oder einer Nachweisführung der Funktionsfähigkeit speziell an das Bauwerk und die am Einbauort vorherrschenden Randbedingungen angepasste Untersuchungsansätze fachlogisch miteinander kombiniert werden müssen. Im Zusammenhang mit der Adaption des neuartigen Hydro-Fischliftes der Hydro-Energie Roth GmbH an das Ruhrwehr Baldeney zur Herstellung des Fischauf- und –abstieges leitete die TU Darmstadt 2013 bis 2015 die wissenschaftlichen Untersuchungen.

Abbildung 3: Praktizierte Methodenkombination zur Planung und Ausentwicklung des Fischliftsystems zum Fischauf- und –abstieg am Ruhrwehr Baldeney auf Basis des Hydro-Fischliftkonzeptes
Abbildung 3: Praktizierte Methodenkombination zur Planung und Ausentwicklung des Fischliftsystems zum Fischauf- und –abstieg am Ruhrwehr Baldeney auf Basis des Hydro-Fischliftkonzeptes

Zum Einsatz kamen dabei unterschiedliche Simulations- und Untersuchungsmethoden, welche infolge einer geschickten Kopplung eine effektive hybride Modellierung ergaben (Abbildung 3).

LEHMANN, B., M. Kühlmann (2015): Untersuchungskonzept und -schritte zur Adaption eines Fischliftsystems am Ruhrwehr Baldeney. In: Die WasserWirtschaft Heft 11/2015: S. 23-30

Referenz 3

Abbildung 4: Staustufe Griesheim am Main
Abbildung 4: Staustufe Griesheim am Main

Vor dem Hintergrund des mangelnden Technikstandes bzgl. des Fischschutz und –abstieg an großen Wasserkraftanlagen hat das Bundesamt für Naturschutz die TU Darmstadt im Konsortium mit Fachplanern und Fischökologen mit einem Forschungs- und Entwicklungsvorhaben beauftragt, um die Anwendbarkeit weltweit verfügbarer Fischschutz- und -abstiegstechniken an Wasserkraftstandorten mit einem Turbinendurchfluss von mehr als 50 m³/s wie in Eddersheim/Main und Griesheim/Main zu untersuchen. Auf der Grundlage der Charakterisierung dieser beiden Beispielstandorte sollen die planerisch relevanten Kernparameter ermittelt und aus der Menge der als wirksam einzuschätzenden Konstruktionen und Verfahren solche identifiziert werden, die sich u. a. auch für die betrachteten Standorte eignen würden. Das F&E-Projekt begann im November 2015 und endet im Dezember 2017.

Zum Einsatz kommen auch hier hydrodynamisch-numerische als auch ethohydraulische Modellierungen in Kombination mit Feldmessungen.

Referenz 4

Abbildung 5: Skizze der Fangkammer (Draufsicht) mit den diversen Komponenten. Quelle: KED Ingenieure
Abbildung 5: Skizze der Fangkammer (Draufsicht) mit den diversen Komponenten. Quelle: KED Ingenieure

Die 2012 fertiggestellte Fischaufstiegsanlage (FAA) beim Wehr Geesthacht an der Elbe verfügt am oberstromigen Ende über eine Monitoringstation. Diese soll aufwärtswandernde Fische mittels schräggestellter Horizontalrechen durch einen Einstiegstrichter (auch: Reusentrichter) in eine Fang-kammer leiten (Abbildung 5). Die Fangkammer selbst kann gehoben und entleert werden, wobei die gefangenen Fische in ein Hälterbecken geleitet werden, von wo aus sie im Rahmen des laufenden Monitorings registriert und ggf. markiert werden können, bevor sie in das Oberwasser entlassen werden.

Um die aufwärts wandernden Fische in die Fangkammer zu leiten, findet am hinteren Ende der Fanganlage eine Wassereinspeisung mittels Pumpen statt. Das eingeleitete Wasser fließt somit von der Fangkammer durch den Einstiegstrichter, so dass im Nahfeld des Trichters eine ausgeprägte Leitströmung entsteht.

Mittels ethohydraulischer Versuche wurde seinerzeit das Design der Einstiegstrichterwände (insbe-sondere des Deckels) derart auf die aus der Fangkammer abfließende Wassermenge ausgerichtet, dass eine hohe Fängigkeit der Anlage gegeben war.

Seit dem im Sommer 2014 erfolgten Austausch der Pumpen für die Wassereinspeisung konnte durch das Institut für angewandte Ökologie aus Beobachtungen mit einem DIDSON-Sonargerät sowie durch den Vergleich mit den Fischfängen vor Austausch der Pumpen nachgewiesen werden, dass sich die Fängigkeit der Anlage verschlechtert hat. Es wurden die Defizite bei einer eventuell veränderten Leitströmung aus der Kammer heraus vermutet.

Im Rahmen einer hydrometrischen Messkampagne wurde daher die Strömungssignatur vor dem Einstiegstrichter erfasst und relativ zu der seinerzeit im ethohydraulischen Versuch erarbeiteten Signatur verglichen.

Abbildung 6: Erfassung von Strömungswerten und –richtungen durch in-situ-Messungen beim Einstiegstrichter der Fangkammer bei der Fischaufstiegsanlage Geesthacht / Elbe
Abbildung 6: Erfassung von Strömungswerten und –richtungen durch in-situ-Messungen beim Einstiegstrichter der Fangkammer bei der Fischaufstiegsanlage Geesthacht / Elbe

Im Detail wurde zu verschiedenen Pumpenbetriebszuständen das Strömungsverhalten im Nahfeld des Einstiegstrichters hydrometrisch erfasst und dokumentiert. Dazu kam ein Accoustic-Doppler-Velicometer (ADV) zum Einsatz, welches in situ am Messpunkt die Strömungsintensität und –richtung als zeitlichen Verlauf über die Messdauer in allen drei Raumrichtungen erfassen kann. Die Strömungsparameter wurden u.a. in Isotachendiagramme überführt, anhand derer unter Berücksichtigung weiterer Daten (bspw. Turbulenzparameter und Schwankungsbereiche) eine Passierbarkeit für Fische abgeleitet werden konnte (Abbildung 7). Aus den gewonnen Ergebnissen konnten somit Defizite bei der Leitströmung identifiziert und deren Ursachen ergründet werden. Ferner wurden Vorschläge zur Optimierung erarbeitet, Umgesetzt und durch stichprobenartige Messungen validiert.